VORWORT (1987)


Als wir im Sommer letzten Jahres nach Dresden fuhren, nutzten wir auf den Rat eines alten Mannes hin, den wir dort in einer der üblichen Kneipen getroffen hatten, die Gelegenheit, das Karl-May-Museum in Radebeul zu besichtigen, das nur einen Katzensprung von Dresden entfernt ist. Also fuhren wir zur Villa Bärenfett, die das Museum beherbergt. Uns fielen schon von Ferne die Holzstämme, aus denen die Villa wie ein Blockhaus gebaut ist, auf, und sie bewirkten eine wahrlich eigentümliche Wildweststimmung. Wir betraten das Museum, und schließlich kamen wir auch in jenen Raum, worin das Arbeitszimmer Karl Mays aus der Villa Shatterhand, wo er gelebt hatte, mit den originalen Gegenständen und Möbeln nachgebaut war. Besonders beeindruckt waren wir von dem großen ausgestopften Löwen, der uns anblitzte, als wir eintraten. Wie um ihn zu besänftigen kraulten wir ihn am Kinn und stießen dort wohl an einen Knopf, der dann einen Mechanismus auslöste. Und zwar öffnete sich der Kiefer des Löwen, das Blitzen erlosch, und es fiel eine vergilbte Schriftrolle heraus. Doch konnten wir uns noch nicht um sie kümmern, denn der altersschwache Löwe, der zudem noch nur auf drei Beinen stand, begann umzufallen, und wir mußten alle Kraft aufwenden, ihn, um das zu verhindern, gegen die Wand zu kippen. Dies löste solch ein heftiges Zittern der Wand aus, daß der Elchskopf entlang der Wand herunter fiel und beim Niederrasen einige Gewehre, die ebenfalls dort gehangen hatten, so mit sich riß, daß sich die Schüsse darin lösten. Es gab ein fürchterliches Getöse, zumal der Kronleuchter getroffen von einer Salve zu Boden stürzte und ein klitzekleines Feuerchen auf dem Teppich entflammte, das sich jedoch mit beträchtlicher Geschwindigkeit zu einem Flächenbrand entwickelte. Wir grapschten noch schnell die Schriftrolle und suchten unser Heil in der Flucht. Dem schreckensbleichen Museumswärter, der uns an der Tür entgegenstürzte, riefen wir noch zu: "Dahinten ist der Übeltäter hinaus gerannt!" und zeigten auf die gegenüberliegende Tür. Nachdem wir das Auto mit letzter Kraft erreicht hatten, sahen wir nur noch das Dach des Blockhauses zusammenstürzen. Wir machten uns so schnell wie möglich nach Dresden auf. Dort erzählten wir Herrn Erich H., der uns beherbergte, von unserem Fund und erbrachen gemeinsam das Siegel der Schriftrolle. Wie erstaunt waren wir, als wir Karl Mays Handschrift erkannten, die uns bis dahin unbekannt gewesen war. Es war eine Botschaft, die wir wörtlich zitieren wollen: "Hiermit übergebe ich, Karl May, am Abend meines Lebens angelangt, mein wohl vollkommenstes Werk dem treuesten Freunde meiner letzten Jahre, der mir bei meinem einsamen Schaffen in meinem Arbeitszimmer stets vorzüglich Gesellschaft leistete. Möge es in die richtigen Hände gelangen. "Es war schon spät am Vorabend unserer Abreise, und so verzichteten wir trotz unserer Neugierde darauf die Erzählung jetzt schon zu lesen. Am nächsten Morgen stellten wir mit Befremden fest, daß unser Hausherr nicht da war, verabschiedeten uns vom Rest der Familie H. und brachen auf. Etwa fünfzig Kilometer vor der Grenze bemerkten wir, daß uns ein "schneller" Trabant überholte, abdrängte und zum Halten zwang. Zwei Männer mit dunklen Hüten und Mänteln stiegen aus und kamen, die Hände in ihren ausgebeulten Taschen, auf uns zu. Wir kurbelten das Fenster herunter und der eine von ihnen sagte: "Wenn Sie uns nun bitte die Rolle geben würden, Sie wissen schon." "Ich weiß nicht wovon Sie sprechen." "Ihre Flucht ist nun zu Ende. Also die Karl-May-Rolle, und machen Sie schnell, sonst werden wir ungemütlich." Uns war es aber schon ungemütlich genug, und so drückten wir aufs Gas, brausten die Transitautobahn entlang, immer geduckt vor den Schüssen, denn die Traube der Trabbis voll dunkel gekleideter Männer mit dunklen Hüten, die wir gleichsam hinter uns herzogen, wuchs von Minute zu Minute an. Das Dokument schien wohl von unschätzbarem Wert für die DDR zu sein, daß man uns fast den gesamten Stasi auf den Hals hetzte. Unser Gastgeber Erich H. muß uns wohl verraten haben. Was für ein Glück, daß wir in einer Ente fuhren und auf diese Weise zu den Verfolgern den Abstand leicht halten konnten. Als die Grenzanlagen in Sicht kamen, beschlossen wir heldenhaft, die einzige Möglichkeit, die sich uns noch bot, zu ergreifen. Wir klappten die Rückenlehnen zurück und brausten mit eingezogenen Köpfen auf die nächste freie heruntergelassene Schranke zu. Nachdem wir so den Grenzbeamten getrotzt hatten, konnten wir getrost mit unserem Cabriolet nach Hause fahren. So kommt es, daß wir im Besitz des letzten, des fünfundsiebzigsten Karl-May-Bandes sind und ihn hier als Weltpremiere den treuen Karl-May-Lesern darbieten können.



KARL MAY'S GESTAMMELTE WERKE


BAND 75


MUNTER REIHERN ODER DER GRÖLPRINZ


REISEERZÄHLUNG VON KARL MAY


HAASENTRETER-VERLAG, REDERBITZE



INHALT


1. Die Ankunft

2. Ein glückliches Zusammentreffen

3. Der Überfall

4. Die Verfolgung

5. Ein glückliches Ende

6. Der Schatzplan

7. Beim "Schwarzen Neger"

8. Der Banküberfall

9. Die Feuerhölle

10. Der Hinterhalt

11. Der General

12. Durst

13. Die Büffeljagd



Die vorliegende Erzählung spielt Anfang

der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts

Herausgegeben von Rosentreter/Haase/Rosentreter


c 1987 Haasentreter-Verlag, Rederbitze

Alle Urheber- und Verlagsrechte vorbehalten




1. Die Ankunft


Lieber Leser, als ich von meiner letzten Weltreise zurückkehrte, fand ich, zu Hause eingetroffen, mehrere Waschkörbe Leserbriefe auf meinem Schreibtische vor. Sofort jedoch fiel mir ein Brief mit der Handschrift meines geliebten Blutsbruders Winnetou in die Augen. Ich öffnete ihn, und gerührt sah ich die Schrift seiner ungeübten Hand. Aber die liebevoll und sorgsam auf das Papier gemalten Lettern verrieten trotzdem seinen Edelmut und seine überragende Charakterstärke. Der Inhalt des Briefes, der übrigens in fließendstem Deutsch verfaßt war, soll hier für den Leser wörtlich wiedergegeben werden:

"Mein lieber Brutsluder Cherie, wieviele Monden haben wir uns nicht gesehen? Mein Hertz sehnt sich danach, dich wieder bei Mir zu sehen. Bitte komm doch bald in das Thal des Braunen Beeren! Ich erwarte dich dort in einem Monde.

"Ich beantwortete noch schnell einige Fanpost meiner treuen Leser, und noch am selbigen Tage befand ich mich auf einem Dampfer gen New Orleans. Die überfahrt braucht nicht weiter erwähnt zu werden, da sich nichts Nennenswertes ereignete (Europa - Hurrican - Piraten - Floß - Haie - Hunger - glückliche Ankunft, wohlbehalten in New Orleans).

In New Orleans angekommen, bestieg ich einen Steamer, der mich den Red River hinauf bis nach Chiquita Falls brachte. Trotzdem sich von hier aus westlich nur noch Wildnis befand, faßte ich dennoch mutig den Entschluß "Let's go West" und machte mich also notgedrungen zu Fuß auf den Weg zu Winnetous Pueblo, wo ich meinen ausgezeichneten Rapphengst Hatahitler abzuholen gedachte.

Für ein Greenhorn wäre dies ein äußerst gefährliches Unterfangen gewesen, doch da ich mich so lange Zeit im Wilden Westen aufgehalten hatte, hatte ich eine Art siebten Sinn für Orientierung und Gefahr entwickelt.

So erreichte ich denn wohlbehalten das Pueblo. Die Kunde meiner Ankunft verbreitete unter dem edlen Volke der Apalachen große Freude, und mit den Ehren eines Häuptlings wurde ich von den hervorragendsten Kriegern des Stammes in das Lager geleitet. Nachdem ich die zahlreichen Ehrerbietungen geduldig über mich hatte ergehen lassen, eilte ich zu der Weide, auf welcher die besten Pferde des Stammes grasten.

Dort angekommen sah ich meinen Hengst sogleich, und trotz der langen Trennung und der großen Entfernung erkannte mich das gute Tier auf den ersten Blick. Es kam mit einem freudigen Wiehern des Wiedersehens auf mich zu galoppiert, und Tränen der Rührung über so viel Treue standen mir in den Augen. Ich liebkoste es und streichelte seine roten Nüstern, die ebenso wie der Wirbel in der Mitte seiner Mähne ein Zeichen für edelste Rasse und allerbeste Abstammung waren.

Trotzdem ich eigentlich sofort hatte aufbrechen wollen, blieb ich auf das inständige Bitten dieser guten Leute und beglückte sie noch mit einer vollen Woche meiner Anwesenheit.



2. Ein glückliches Zusammentreffen


Als es Zeit zur Abreise geworden war, wurde ich mit den besten Vorräten versehen und machte mich auf den Weg in die mit Winnetou vereinbarte Gegend.

Kurzerhand überquerte ich die Wüste Llano Estacado, die wegen ihres Schlangenreichtumes auch die "Snaked Plains" genannt wird.

Den Durst aufgrund des Wassermangels in dieser Einöde linderte ich einerseits dadurch, daß ich in einem äußerst geschickt geführtem Zickzackkurse jeden schattenspendenden Kaktus nutzte, andererseits verschaffte ich mir auf die Weise Wasser, indem ich je nach Bedarf einen Kakteenwald mit meinem selbstgebastelten Spezialprairiefeuerzeuge entzündete. Das Wasser, welches im Fruchtfleische der Kakteen enthalten war, verdampfte, kondensierte an den aufsteigenden Ascheteilchen des Rauches und verschaffte mir auf diese Weise einen erfrischenden Regen, den ich in Spezialpfadfinderkochtöpfen auffing, wie sie in der Ausrüstung eines echten Westmannes unentbehrlich sind, was mir der Händler nachdrücklich versichert hatte.

Am erwähnten Treffpunkte angekommen, fiel meinem durch jahrelange Übung wohlgeschärften Blick sofort eine Eiche auf: An einem in der Krone gelegenen Aste befand sich das Blatt einer Buche! Geschwind sprang ich ab und mit der Gewandtheit eines Westmannes gelang es mir rasch, den Baum zu erklimmen. Nachdem ich das Blatt ergriffen hatte, sah ich, daß eine Nachricht von meinem Blutsbruder Winnetou darangeheftet war.

Man sieht an eben erwähntem, daß einem echten Westmanne nicht die geringste Kleinigkeit zu entgehen vermag. Auf Geheiß meines Blutsbruders folgte ich von nun an seiner Fährte.

Ich war erst kurze Zeit geritten, als ich am Horizonte einen dunklen Punkt bemerkte. Flugs stieg ich ab und stellte neben meinem Pferde mein Teleskop auf, das ich auf allen meinen Reisen mit mir führe und das mir schon das Leben gerettet hatte. Ich identifizierte den Punkt schon bald als eine Schar Westmänner, welche geradewegs auf mich zu geritten kamen. Ein Pfiff, und mein Pferd ging hinter den nächsten Hügel, um sich dort zu verstecken. Ich selbst sprang in das nächste Brombeergebüsch und verharrte so einige Zeit, bis ich Hufgetrappel hörte. Dann sprang ich, tollkühn beide Revolver gezogen, hervor und rief:

"Hands up, Mesch'schurs!"

Aber wie erfreut war ich, als ich in heimatlichen Tönen vernahm:

"Gänse fleisch hr Jewäähr een gleen bißschn zr Säite nehmn? Mhr sinn ja geene Vhrbrächr!"

Jetzt erkannte ich auch, wen ich da vor mir hatte: die fünf hervorragendsten Westmänner von Frisco bis Boston, außer mir selbstverständlich. Und noch dazu allesamt Landsleute aus meiner geliebten Heimat Sachsen, wenn auch nicht aus Radebeul. Es handelte sich um Old Geierhand, Old Scrabble, Old Timer, Old Shoehand und Cold Death.

Erst nach der stürmischen Begrüßung entdeckte ich einen etwas abseits stehenden Mann, der sofort einen schlechten Eindruck auf mich machte. Sein unsteter Blick und seine brutalen Züge zeigten jene Merkmale, welche ich auf meinen Reisen stets nur bei schlechten Menschen bemerkt habe. Man wird im späteren Verlaufe noch sehen, daß ich mich in dieser Annahme wieder einmal nicht getäuscht hatte. Denn noch beim Abendessen teilte mir Old Geierhand mit, daß es sich um einen Franzosen handele. Und dazu um einen gotteslästernden Menschen, was mich als guten Christen natürlich erschrecken mußte.

Ich hatte uns, als es dunkel geworden war, noch schnell eine idealen Lagerplatz gesucht. In der einförmigen, unendlichen Weite der Grasprairie war dies ein schwieriges Unterfangen, doch gelang es mir endlich, einen zu finden. Er bestand aus einer kleinen Grasfläche, die von nahtlos aneinander stehenden Bäumen so dicht eingerahmt war, und von der Prairie so gut abgeschirmt, zumal sie sich auf einer kleinen Anhöhe befand, daß sie unmöglich von außen entdeckt werden konnte. Ich hatte den Lagerplatz absichtlich auch noch so ausgewählt, daß in seiner unmittelbaren Nähe eine Quelle entsprang, die uns und den Pferden reichlich Wassers bot.

Wir hatten uns wegen der langen Trennung selbstverständlich sehr viel zu erzählen, und so zog sich die Schilderung meiner letzten Heldentaten noch bis lange in die Nacht hin, bevor wir uns schließlich um das von mir nach Indianerart zubereitete Lagerfeuer zur Ruhe legten.



3. Der Überfall


Nur ich allein blieb wach, denn mir gingen die aufregenden Ereignisse des Tages durch den Kopf. Es sollte sich herausstellen, daß ich hierdurch mir und meinen Gefährten das Leben rettete, denn plötzlich erspähte mein durch die Weite der Prairie wohlgeübter Blick zwei leuchtende Punkte im Dunkel der Nacht. Ich erkannte an ihrer Helligkeit, daß es sich um die Augen eines Menschen handele, und zwar um die eines Indianers, wie Form und Tönung mir verrieten. Das besondere Glänzen deutete daraufhin, daß es ein Indianer vom Stamme der Foxtrotts war. Daraus schloß ich scharfsinnig, daß sich mindestens ein Foxtrott in näherer Umgebung befinden müsse.

Man wird im späteren Verlaufe noch sehen, daß ich mich in dieser Annahme wieder einmal nicht getäuscht hatte.

Mit der möglichst harmlosen Bemerkung: "Ich gehe noch schnell einige Pilze suchen", schlich ich mich unauffällig pfeifend davon und kroch in einem weiten Bogen von hintenan den Foxtrott heran. Mühelos hätte ich ihn nun überwältigen können, da ich mich ihm in einer Stunde mühevollsten Anschleichens bis auf einen halben Meter genähert hatte. Doch wollte ich ganz sicher gehen. Deshalb schlich ich mich, jeden Halm sorgsam wieder aufrichtend und so meine Spur verwischend, auf demselben Wege ins Lager zurück. Nach drei Stunden erreichte ich es wohlbehalten.

"Hier habe ich einige Pilze", sagte ich zu meinen Gefährten und warf ihnen ein paar schnell noch zurechtgeschnitzte Pilze vor die Füße.

Damit täuschte ich sowohl den Indsman als auch meine immer noch schlafenden Kameraden. über deren Unwissenheit konnte ich mich eines kleinen Lächelns nicht erwehren und wandte mich belustigt ab.

Um den Indianer, der ja, wie sich gezeigt hatte, für uns eine enorme Gefahr darstellte, endgültig auszuschalten, wandte ich eine unglaublich geschickte List an, den durch mich berühmt gewordenen Fußschuß. Dazu rief ich plötzlich aus: "Damned, ein Dorn!" und zog meine rechten Cowboystiefel aus. Nun brachte ich unauffällig, scheinbar den Dorn herausziehend, das Gewehr zwischen meinen Füßen zu liegen und richtete mit äußerster Konzentration den Lauf meines Beerentöters auf den Indianer, und zwar solcherart, daß ich ihn mit einem Streifschusse an der Schläfe zu betäuben gedachte. Auf die Lage der Schläfe konnte ich aus der Lage der Augen schließen. Währenddessen pfiff ich, fortwährend scheinbar den Himmel betrachtend, eine heimische Hymne. So gedachte ich den Indsman abzulenken.

Bald hatte ich ihn genau im Visier. Mit meinem rechten großen Zeh zog ich den Hahn ab, der Schuß krachte, die phosphoreszierenden Augen verschwanden, und meine Gefährten schreckten aus ihrem Schlafe empor. Sie machten mir Vorwürfe, daß ich sie geweckt habe. Diese Unwissenden! Sie ahnten ja nicht, vor welch furchtbarem Unglücke ich sie bewahrt hatte.

Ich jedoch führte sie zu dem Indianer, und nach einem gekonnt von mir geführten Verhöre gestand dieser zu guter Letzt, uns bemerkt und belauscht zu haben. Eine glatte Lüge natürlich, denn er konnte mein indianisch zubereitetes Feuer selbstverständlich weder gerochen noch gesehen haben. Wir fesselten ihn schließlich unter meiner fachkundigen Anleitung an einen Baum und legten uns daraufhin beruhigt wieder schlafen.



4. Die Verfolgung


Ich brauche wohl nicht erst zu erwähnen, daß sich mir am nächsten Morgen alle Westmänner voller Begeisterung, mit mir reiten zu dürfen, anschlossen.

Den Indianer ließen wir so an den Baum gebunden zurück, daß er sich keinen Zentimeter von seinem Platze fortbewegen konnte. Meine Gefährten wollten ihn nämlich aus Rache verhungern lassen. Als wir am Rande der Lichtung angekommen waren, regte sich in mir als Deutschem das christliche Gewissen. Ich blieb hinter den übrigen zurück und ließ, dem Armen ein Zeichen gebend, in Sichtweite von ihm den besten Teil meines Proviantes als Freßpaket zurück. Ich konnte den Gedanken nämlich nicht ertragen, daß ein bis zur Unbeweglichkeit Gefesselter auch noch Hungerqualen zu leiden habe.

Als wir bis etwa um die Mittagszeit der Fährte Winnetous gefolgt waren, ließ ich anhalten, da eine Spur zu der letzteren gestoßen war. Ich hieß die Anderen kurz hinter mir zurückbleiben, damit sie mir die Fährte nicht verdürben.

Und nun zeigte sich wieder einmal, wie nützlich es doch war, daß ich auf meinen sämtlichen Reisen im Wilden Westen Notizen und Zeichnungen von den Spuren sämtlicher Leute, mit denen ich zu tun gehabt hatte, und ebenso von den Hufspuren ihrer Pferde gemacht hatte.

So hatte ich denn auch schon nach einigen Stunden in meiner Kartei die Hufspur als die von Tante Prolls Pferd erkannt. Hinter diesem Namen verbarg sich einer der berühmtesten Westmänner, ebenfalls ein gebürtiger Sachse. Seinen ein wenig eigenartigen Namen hatte er wegen seiner hohen Fistelstimme und seiner etwas befremdend wirkenden Kleidung erhalten.

Wir ritten noch bis zum Abend weiter, doch dann mußten wir unseren Pferden eine Ruhepause gönnen, die ich dazu nützen wollte, uns zum Abendessen noch schnell einen Grizzly zu verschaffen.

Ich entfernte mich eine Strecke vom Lager, und dann kroch ich, nach Indianerart die Nase dicht am Boden führend, weiter. Dem Leser mag dies absonderlich vorkommen, doch dem rechten Westmanne geht es um den Zweck einer Handlung und nicht um die Ästhetik derselben. Der Erfolg gab mir, wie sich auch diesmal zeigen sollte, Recht. Denn schon nach einer Viertelmeile verstärkte sich der typische, scharfe Geruch, den ein jeder Bär ausdünstet.

Ab jetzt richtete ich alle meine Sinne, stetig weiterkriechend, voll und ganz auf die Fährte, und kurz darauf stieß ich auf ein eindeutiges Indiz, das auf die unmittelbare Nähe eines Grizzlys schließen ließ. "Good heavens!" dachte ich, denn dicht vor meinem Gesichte machte ich zwei Tatzen aus, die unzweifelhaft einem Bären angehörten. Aufspringen, mein Jagdmesser ziehen und es dem Bären blitzschnell zwischen die siebte und achte Rippe stoßen, war das Werk eines einzigen Augenblickes.

Doch wie sich selbst der Laie vorstellen kann, sind diese prächtigen Tiere von einer ungeheuer zähen Natur. Letzteres bewirkte, daß der Bär nicht sofort zusammenbrach und es noch einiger kraftvoller Jagdhiebe bedurfte, ihn endgültig zu Fall zu bringen.

Nun erst erkannte ich, welch große Tat ich vollbracht hatte, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, je einen Bären von solch riesigen Ausmaßen erlegt zu haben. Das Tier mochte wohl an die zwölf Fuß lang sein und an die siebzehn Zentner wiegen. Glücklich über den gelungenen Fang schwang ich ihn über die Schulter und schleppte ihn ins Lager. Dort zerlegten wir ihn, und ich nahm mir seine Zähne und Krallen, welche ein Zeichen allerhöchsten Mutes sind, und tat sie in einen der Säcke, die ich zwecks Sammlung und Aufbewahrung solcher Auszeichnungen stets bei mir trage.

Nachdem wir den Bären verspeist hatten, legten wir uns zeitig schlafen, um in aller Frühe aufbrechen zu können.

Am nächsten Tage machten wir, nachdem wir einige Meilen geritten waren, eine erschreckende Entdeckung: Es war mittags an einer etwas sumpfigen Stelle, als ich den Franzosen zu mir rief und auf die vor uns liegenden Spuren aufmerksam machte.

"Was sagt Ihr hierzu?" fragte ich ihn, worauf er sie betrachtete und meinte:

"'Ier scheint ein größärär Trüpp Reitär auf die altä Spur gäßtoßän su sein und sisch mit ihr väreinischt su 'abän. ""Pshaw! Das ist nur die halbe Wahrheit", berichtigte ich ihn, belustigt über seine Unerfahrenheit.

"Seht, hier ist ein etwas größerer Trupp Foxtrotts aus dem Westen herangekommen. Ich wage sogar zu behaupten, daß es einhundertdreiundzwanzig waren und zwar vor drei Stunden und neunzehn Minuten, wie man an den Rändern der Spuren und den erst zu fünf Dritteln aufgerichteten Grashalmen leicht erkennen kann."

"Mordbleu, woran wollt Ihr sä'än, daß es ausgäräschnät Foxtrotts warän?" fragte der Ungläubige zweifelnd.

"Well", antwortete ich überlegen lächelnd. "An diesen Hufspuren kann man das für die Foxtrotts und ihre Pferde typische Tänzeln auf den Hinterbeinen erkennen", was er mir natürlich bestätigen mußte, als ich ihm die Spuren zeigte.

"Und dann", fuhr ich meine Belehrung fort, "haben sie die beiden umzingelt, gefesselt und auf ein Pferd gebunden. Denn die Hufspuren eines der Pferde sind beim Verlassen dieser Stelle ein wenig tiefer eingedrückt, als sie es beim Betreten derselben waren. Seht selbst!"

Angesichts dieser nackten Tatsachen wagte er nicht länger zu zweifeln.

Aufgrund der nun veränderten Sachlage spornten wir unsere Pferde zum höchsten Galoppe an, und wir flogen förmlich über die Prairie hinweg, wobei die Körper der Tiere den Boden berühren wollten. Bei dieser Geschwindigkeit erreichten wir schon nach gut zwei Stunden den Eingang eines zehn Meilen entfernten Tales, in das die Spur hineinführte und in welchem sich folglich die gesuchten Indianer und unsere Freunde befinden mußten, da es außer diesem Eingange nur noch einen versteckten gab, den Winnetou und ich vor Jahren rein zufällig entdeckt hatten und den deshalb nur wir beide kannten.



5. Ein glückliches Ende


Das Tal, welches nun vor uns lag, war oval und ringsherum von lotrecht ansteigenden Felswänden umgeben, die zu ersteigen gänzlich unmöglich schien. Die Ränder des Tales waren dicht mit Wald bestanden, doch befand sich in der Mitte eine große Lichtung.

Zum besseren Verständnisse des Folgenden muß ich noch erwähnen, daß ich auf das inständige Drängen meines Gewissens schließlich meiner christlichen Pflicht dadurch Genüge zu tun versucht hatte, daß ich mich mehrere Male auf freundliche und kameradschaftliche Weise bemühte, den gottlosen Franzosen durch eindringliches Zureden doch noch zum christlichen Glauben zurückzuführen. Aber muß ich gestehen, daß meine Versuche bei ihm auf keinerlei Verständnis stießen, denn obwohl ich den ganzen Ritt über versucht hatte, ihn zu bekehren, trennte er sich kurzerhand von uns.

Es sollte sich später zeigen, daß ich ihn nicht hätte gehen lassen dürfen.

Wir suchten uns also schnell ein geeignetes Versteck, und ich entfernte mich, das Lager der Feinde zu beschleichen. Da die Foxtrotts sich offensichtlich völlig sicher fühlten, hatten sie keine Wachen aufgestellt, und so kam es, daß ich schnell in die Nähe des Lagers gelangte, welches sich am Rande der Lichtung befand.

Und da sah ich ihn: Winnetou, den Häuptling der Apalachen. Er war genauso gekleidet wie ich, nur daß er statt der hohen Lederstiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch hatte er keine Kopfbedeckung, sondern sein langes, dichtes, blauschwarz glänzendes Haar war in einem hohen, helmartigen Schopfe geordnet und mit einer wertvollen Blindschleichenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinsack, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und außerdem eine zehnfache Kette mit Brombeerkrallen, ein glänzender Beweis seiner überragenden Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Siegeszeichen führen, die er nicht selbst erstanden hat. Der Lasso fehlte ebensowenig wie der Gürtel mit den Revolvern, Pistolen, Bowiemessern, Beilen und Lanzen.

Man hatte ihn, der sich wohl den zahlenmäßig überlegenen Feinden hatte ergeben müssen, zwar gefesselt, doch hatte es selbstverständlich niemand gewagt, dem berühmten Häuptlinge auch noch seine Waffen abzunehmen. Neben dem Indsman lag eine dreiläufige Büchse, deren Holzteile eng mit blechernen Nägeln beschlagen waren, weshalb sie sich im gesamten Wilden Westen den Namen "Blechbüchse" eingetragen hatte. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen und edlen Gesichtes war fast römisch zu nennen; die Backenknochen standen kaum merklich vor, und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun, schon leicht ins Ocker übergehend, mit einem leisen Bronzehauche, welcher nun seinerseits leicht ins Platinfarbene hinüberspielte.

Neben ihm lag Tante Proll, der ebenfalls gefesselt war.

Ich stieß den Schrei eines Vogels aus, den ich Winnetou einst beigebracht hatte. Dieser Vogel ist übrigens auf dem amerikanischen Kontinente nicht beheimatet; folglich konnte er nur Winnetou und nicht den Indsmen auffallen, da diese ihn ja nicht kannten. Sofort merkte der gefesselte Winnetou, daß ich in der Nähe war und stieß als Antwort den, ich möchte wohl sagen, echtesten Adlerschrei aus, den ich jemals gehört habe.

Alsdann machte ich mich daran, von hinten an ihn heran zu schleichen, um ihn auf diese Weise zu befreien. Doch als ich mich ihm bis auf einen Meter genähert hatte, wurde ich durch lauten Lärm vom Eingang des Tales her aufgeschreckt. Mit einem Blicke hatte ich die Lage genauestens erfaßt: Meine Freunde waren auf Verrat des Franzosen hin überfallen und gefangengenommen worden.

Kühlen Kopf bewahrend schnitt ich Winnetous und Tante Prolls Fesseln durch und schnellte mit wahren Panthersprüngen auf Aga-Dir, den Häuptling der Foxtrotts, zu, den ich etwas abseits stehend erspäht hatte. Ihn erreichen, mit der Linken an der Gurgel packen, und mit der Rechten ihm meinen berühmten Jagdhieb versetzen, war das Werk eines einzigen Augenblickes. Der Häuptling sank bewegungslos zusammen, und ich schleppte ihn, während ich Winnetou und Tante Proll mir folgen hieß, in die Mitte der Lichtung, wo ich mich vor den Augen der mit den Gefangenen zurückkehrenden Foxtrotts aufbaute. Sie wagten es nicht, sich mir zu nähern und begannen zu beraten, was zu tun sei.

Ich aber wollte ihnen zuvorkommen und rief ihnen in der Sprache der Foxtrotts, die mir selbstverständlich geläufig ist, zu:

"Ich schlage Euch vor, das Ganze durch einen Zweikampf entscheiden zu lassen! Gewinne ich, sind Eure Gefangenen frei, gewinnt Ihr, so muß ich den Häuptling Aga-Dir freigeben und werde selbst Euer Gefangener."

Der Leser mag sich wundern, daß ich einen so gefährlichen und risikoreichen Vorschlag machte, doch vertraute ich ganz auf meine Gewandtheit, Klugheit und Kraft und war meines Sieges gewiß.

Die Indsmen schickten nach kurzer Beratung einen Unterhäuptling zu mir, mit dem ich den Handel durch die Friedenspfeife besiegelte, an deren Heiligkeit sich wenigstens die Foxtrotts halten würden. Es wurde ein Zweikampf vereinbart, in dem ich mich mit den fünf besten Kriegern des Stammes messen sollte. Der Erste war ihr bester Schütze.

Ich holte meinen Henrystutzen, mit dem ich, ohne nachzuladen, hundertmal zielen kann. So stellten wir uns in fünf Metern Entfernung voneinander auf, zielten, nachdem das Zeichen gegeben worden war, kurz und schossen dann gleichzeitig los. Er verfehlte nur knapp, doch mein Schuß traf mitten ins Herz . der Spielkarte, die ich zuvor an einem hundert Meter entfernten Baume befestigt hatte. Eins zu Null für mich!

Als nächstes mußte ich mich im Tomahawkwerfen messen. Wir vereinbarten als Ziel den Ast eines Baumes, der in hundertfünfzig sächsischen Ruten Entfernung von uns stand. Der Indianer warf gar nicht einmal so schlecht, immerhin, seine Axt schlug sogar in den Ast ein. Doch davon ließ ich mich natürlich nicht beirren. Ich nahm mein Beil aus dem Gürtel, wirbelte es um den Kopf und warf es in solcher Weise, daß es eine Strecke geradeaus flog, dann einen leichten Bogen nach rechts machte, kurz vor dem Baume anstieg, einmal den Baum umkreiste und dann den Ast glatt abschlug. Ein "Uff" der Bewunderung ging durch die Reihen der Foxtrotts, und unter dem frenetischen Beifall meiner Begleiter setzte ich den Wettkampf fort.

Die restlichen Zweikämpfe brauche ich wohl nicht noch zu erwähnen; wie sich der Leser gut vorstellen kann, gewann ich sie genauso souverän wie die ersten beiden. Schließlich mußten die von mir Besiegten die Gefangenen herausgeben, worauf sich diese mit stürmischer Freude bei mir bedankten.

Edelmütig wie ich bin, ließ ich den Häuptling auf sein Versprechen hin, abzuziehen und uns bis auf weiteres nicht mehr zu belästigen, frei.

Ich bewachte noch schnell den Abzug der Indianer und kehrte dann zu den Gefährten zurück, die mich, als sie mich kommen sahen, zu einer Stelle etwas abseits im Walde führten, und als ich sie erreichte, sah ich - hier sträubt sich die Feder fortzufahren - vor mir lag der Franzose, den die Foxtrotts auf die gräßlichste Weise gemartert zu haben schienen.

Ein heiliges Grauen ergriff mich und meine Gefährten, da die Gerechtigkeit mit dem alten Gotteslästerer abzurechnen begann. Ich kam, sah, daß er nicht mehr zu retten sei, und trotz allem, was er mir angetan hatte, wollte ich wenigstens seine Seele vor dem Untergange bewahren. Ich beugte mich über ihn und sagte als deutscher Christ:

"Bald tut Ihr euren letzten Atemzug, bereuet noch schnell Eure Sünden, im Jenseits ist's zum Bitten keine Zeit mehr."

"Old Slottär'änd, Ihr 'abt misch übärßeugd", flüsterte er dankbar, und mit einem Lächeln schloß er die Augen - er war tot.

Tiefgerührt, wieder eine Menschen mehr bekehrt zu haben, stand ich vor seiner Leiche und ritzte die entsprechende Kerbe in meinen Gewehrkolben ein. Seine Bekehrung hatte alles Vergangene gut gemacht. Er war mit mir und Gott im Reinen gestorben.

Da auch meine Landsleute als Deutsche natürlich fromme und gottesfürchtige Menschen waren, errichteten wir in drei Tagen eine kleine Kapelle zum Gedenken an dieses tieferschütternde Ereignis. Dann setzte ich meine Reise gen Westen fort, um neue Heldentaten zu vollbringen.



6. Der Schatzplan


Nachdem ich meine Gefährten am dritten Abend zu Bett geschickt hatte, rief ich Winnetou zu mir. Wir hatten uns lange nicht gesehen, und da ich in den letzten Tagen voll mit der Leitung der Bauarbeiten und der stilistischen Verfeinerung meiner Kapelle beschäftigt gewesen war, hatten wir keine Gelegenheit gehabt, einander von unseren Erlebnissen seit unserer letzten Begegnung zu erzählen. So zog ich ihn etwas abseits und wollte unser Gespräch mit meinem allabendlichen, gründlichen Kontrollgange ins Tal verbinden.

Nach einer halben Stunde des Schweigens, denn es bedarf zwischen Blutsbrüdern zur Verständigung nicht vieler Worte, gewahrte ich plötzlich einige Schritte vor uns eine frische Fährte unter den Fußstapfen meiner vorherigen Kontrollgänge.

"Heighday, sieh da!", rief ich aus. "Frische Hufspuren, die aus dem Tal herausführen! Was meinst du dazu, Winnetou?" Winnetou beugte sich zu den Eindrücken hinab, betrachtete sie eingehend und stellte in der für ihn und überhaupt alle Angehörigen der indianischen Rasse typischen, kurzen und treffenden Ausdrucksweise in apalachischem Dialekt fest:

"Drei Sonnen, Haouwgh."

Dieses bedeutete, daß die Spuren drei Tage alt seien. Wir beschlossen, der Fährte ein Stück weit zu folgen.

Um schneller voranzukommen, bedienten wir uns einer Laufart, die ich auf meinen langen Reisen durch die Prairie entwickelt hatte und anzuwenden pflege, wenn ich lange Strecken in kürzester Zeit zurückzulegen habe. Und zwar läuft man solcher Art, daß man immer nur mit dem einem Beine auftritt und währenddessen das andere ausruht, um nach hundert Sprüngen auf jenes Bein überwechseln zu können. Auf diese Weise stellt sich auch bei längeren Läufen keine Müdigkeit ein, da das Geheimnis aller Ausdauer der Wechsel von Anspannung und Entspannung ist.

Nach zehn Meilen trafen wir auf einen Ort, wo die Spuren in einem zunächst unübersehbaren Getümmel endeten. Plötzlich rief Winnetou aus:

"Habe den ganzen Lauf nachgedacht. Es waren die Foxtrotts. "Welch geheimnisvolle Übereinstimmung unserer Gedanken! Tatsächlich wollte auch mir gerade derselbe Gedanke kommen, daß die Spur etwas mit dem Verschwinden der Foxtrotts vor drei Tagen zu tun haben könnte, was unser Interesse an der Fährte um so mehr erweckte. Also untersuchte ich die einzelnen Spuren, wobei ich übrigens feststellte, daß die Eindrücke mittlerweile nur noch einen halben Tag alt waren. Nach einigen Schritten stieß ich auf einige sterbende Foxtrotts.

"Heda, Indsman! Was geht hier vor?" fragte ich einen von ihnen.

"Banditen haben Dokument geklaut", röchelte er und verschied.

"Welches Dokument mag er wohl meinen?" fragte ich den edlen Häuptling der Apalachen, welcher bei den Worten des Foxtrotts ein wenig zusammengeschrocken war. Mit rotbraunem Gesicht erzählte er mir, vornehm stammelnd Folgendes:

Er hatte einen vergrabenen Plan seines Vaters Pasta Shuta, der die Lage eines Placers angab, den sein Vater vor Jahrzehnten entdeckt hatte, ausgegraben, um den Schatz mit mir zu suchen und sich wieder neu mit Nuggets einzudecken. Als er bemerkt hatte, daß er von den Foxtrotts umzingelt worden war, faßte er einen listigen Plan, um die Karte zu verstecken. Er rollte das Pergament rasch zusammen, steckte es in den Lauf seiner Blechbüchse und drückte ab, um das Dokument vor den Foxtrotts im Gebüsch zu verstecken. Unglücklicherweise blieb die Rolle im ausladenden Federschmucke des Häuptlings Aga-Dir hängen. So gelangte sie in den Besitz der Foxtrotts.

Schluckend wandte ich mich schnell wieder den verletzten Indianern zu. Nach getaner Arbeit - fünf Kerben in meinem Kolben - verließ ich mit Winnetou diesen Ort, um unseren Gefährten von der nun veränderten Sachlage zu berichten. Am Lagerplatz angekommen, eilte ich in die Kapelle und läutete Sturm, um sie aus ihrem Schlummer zu wecken. Ich stieg vom Glockenturm herunter und erklärte ihnen von der Kanzel aus, auf welch niederträchtige Weise die Foxtrotts Winnetou den Plan geraubt hatten, und das Dokument darauf in die Hände der Banditen gelangt war. Wir waren alle von der Begeisterung erfaßt, den Banditen die Rolle wieder abzunehmen, und bereiteten uns schleunigst auf ihre Verfolgung vor. Meine Freunde riefen wie aus einem Munde: "Hurra, Hurra, Hurra!" Ich hieß sie vorreiten, während ich selbst das Kirchlein wieder aufräumte und abschloß.

Einige Meilen vor dem Tale stieß ich wieder auf meine Gefährten, die gerade in ein heiteres Gespräch vertieft zu sein schienen. Fragend, worum es sich handele, ritt ich hinzu, worauf mir Cold Death antwortete:

"Seht nur, Sir, hier müssen zwei Irre vorbeigekommen sein! Habt Ihr jemals solch eine lächerliche Spur gesehen?"

Dabei deutete er auf zwei befremdend erscheinende Spuren, während Old Scrabble lachte: "It's clear, hundert Sprünge linker Fuß, hundert Sprünge rechter Fuß!"

Auf einmal kamen mir die Spuren gar nicht mehr so unbekannt vor, und ich war entsetzt über die Albernheit meiner Begleiter, die die Bedeutung der Spur völlig verkannten, weshalb ich schnell sagte:

"Vollkommen unwichtig für uns! Weiterreiten!"

Als ich von ferne den blutroten Widerschein der Pionierstadt Lodge City in der Abenddämmerung erspähte, zog ich meine getönte Schneebrille aus der Tasche, setzte sie auf und wandte mich an meine Gefährten:

"Wenn wir die Banditen verfolgen, müssen wir in die Stadt, Mesch'schurs. Um jeglichen Aufruhr und Rummel um meine Person zu vermeiden, habe ich beschlossen, die Stadt unerkannt und unauffällig zu betreten. Damit Ihr es wißt, für unseren Aufenthalt in der Stadt heiße ich Marl, Kai Marl. Verstanden?"

Daraufhin gab ich meinem Pferd die Sporen. Sofort aber hielt ich es wieder an und blickte meinen Freunden nacheinander tief in die Augen.

"Wir werden einzeln in die Stadt einreiten. Wir werden von allen Seiten ins Zentrum der Stadt vorstoßen. Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Jeder muß seinen Weg selbst finden. Ich verlasse mich auf Euch!"

Ich legte noch jedem die Hand auf die Schulter, dann trennten wir uns.



7. Beim "Schwarzen Neger"


Es war bereits dunkel, als ich mich als ersten auf dem Marktplatze wiederfand. Bald hörte ich Geräusche von sich nähernden Huftritten. Aufblickend und meine Schneebrille zurechtrückend versuchte ich, die Finsternis mit meinen Blicken zu durchdringen. Und in der Tat, es schlichen von allen Seiten dunkle Reiter auf mich zu. Es konnten nur meine Gefährten sein. So versammelten sie sich im Dunkel der Nacht auf dem Platz um mich herum, die Hüte tief ins Gesicht gezogen. Zuversichtlich ob meiner gelungenen Taktik flüsterte ich ihnen zu:

"Und nun, auf in den Saloon!"

Unter lautem Hurra- und Bravogeschrei stürmten meine Freunde und ich in den Saloon "Zum schwarzen Neger", dessen Inhaber, genannt "Conan, der Barbier", von wahrlich hünenhafter Gestalt war, doch schon auf den ersten Blick erkannte ich, daß er, trotzdem er einen solch herkulischen Körper hatte, ein friedliebendes Gemüt besitzen müsse.

Wir bekamen ein Zimmer zugewiesen und zogen uns sofort auf selbiges zurück, nachdem wir für die Pferde gesorgt hatten. Das Bett erwies sich als leidlich bequem, wohingegen der Boden nicht einmal mit Teppichen ausgelegt war, zum Unglück meiner Freunde. Denn als genügsame Deutsche überließen sie auf meinen Rat hin mir das Bett, zumal ich als Anführer die Verantwortung trug und daher ausgeruht sein mußte, was sie mir schließlich eingestehen mußten. Wenn ich ein Zimmer belege, pflege ich stets, und nicht nur im Wilden Westen, die Nachbarzimmer zu erkunden, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe, und im Falle einer Gefahr Herr der Lage bin. Dem Leser mag dies als Neugierde erscheinen, doch wer im Wilden Westen überleben will, muß sich frei von solchen Bedenken gemacht haben, denn dort zählt nur die Vorsicht.

Also ging ich leise auf den Balkon und horchte in die Stille hinein. Sowohl zu meiner Rechten als auch zu meiner Linken konnte ich Balkone ausmachen, aus deren dahinterliegenden Zimmern Stimmen drangen. Kurzentschlossen hangelte ich mich an der Hauswand zum linken Balkone und hängte mich an ihn, um nicht gesehen zu werden. Dabei verursachte ich ein leichtes Knacken in meiner Schulter, was Verdacht hätte erregen können. Blitzschnell reagierend ahmte ich das Miauen einer Katze nach, welche auf der Jagd nach einer Maus ist. Piepsend, tapsend und miauend, was mich bei der Ausführung meines Unterfangens natürlich hinderte, aber tarnte, lauschte ich dem Gespräch in dem Zimmer:

"Zounds, hört zu: Als Anführer der Banditen, die heute morgen den Foxtrotts, diesen roten Hunden, die Rolle abgejagt haben, möchte ich Euch sagen: Ich bin stolz auf Euch, Jungs. Zum Inhalt der Rolle: es handelt sich um den Plan eines Schatzes. Wir werden ihn heben. Wer seinen Teil haben will, soll mir folgen!"

Plötzlich hörte ich, daß meine Kameraden auf dem Balkon standen und von mir die Erlaubnis, in den Saloon zu gehen, zu erbetteln suchten. ärgerlich über ihren Unverstand fauchte ich ihnen zu:

"Stört mich jetzt nicht! Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!"

Doch war hier meine Aufgabe erledigt, und den nun anhebenden Jubel im Zimmer der Banditen nutzte ich, um mich unauffällig, stetig weitermiauend, zurückzuziehen. Natürlich schwang ich mich jetzt gleich unter unserem Balkon durch zu unseren rechten Nachbarn, wo ich aber lediglich herausfand, daß es sich um die berüchtigte Bande der Tramps handele, die auf ihren Ritten stets Angst und Schrecken zu verbreiten pflegten.

Ins Zimmer zurückgekommen, erklärte ich meinen Gefährten die Lage:

"Männer, ich habe herausgefunden, daß wir zu beiden Seiten von Verbrechern umgeben sind. Zu unserer Linken die uns schon bekannten Banditen, die heute morgen den Foxtrotts den Schatzplan entrissen haben. Ihr wißt, es geht um viel Gold. Zu unserer Rechten ."

Währenddessen ging Winnetou auf den Balkon, um dem Miauen einer Katze auf den Grund zu gehen. Er kam zurück und blickte mir vielsagend in die Augen.

"Unmöglich!" unterbrach ich ihn. "Wer sollte uns belauschen?"

Es sollte sich zeigen, daß ich damit einen großen Fehler begangen hatte.

Darauf begaben wir uns in den Saloon.



8. Der Banküberfall


Anderntags empfahl es sich für unsere Sicherheit, die Banditen nicht unbeobachtet zu lassen, zumal sich so besser ein Zeitpunkt bestimmen ließ, ihnen die Rolle wieder wegzunehmen. Da ich meine Gefährten aber auch nicht unbeaufsichtigt lassen wollte, hieß ich sie in einer langen Kette, jeweils im Abstande von zwanzig Schritt mir und einander zu folgen. Damit waren sowohl Zusammenhalt als auch Verfolgung gesichert.

Ziemlich bald jedoch trennte sich der Anführer der Banditen von seinen Komplizen, und ich beschloß natürlich, den Anführer mit meinen Gefährten zu verfolgen. Er stellte die größere Gefahr für uns dar und trug sicherlich auch die Rolle bei sich.

Ich hätte ihm nun ohne Schwierigkeiten den Plan entreißen können, doch wollte ich mein Inkognito wahren, und, was noch schwerer wog, es hätte großes Aufsehen erregt. Ich konnte mich nämlich des Gefühls nicht erwehren, daß sich ständig alberne Leute an den Straßenrändern nach uns umdrehten.

Nachdem unser Zug zum zehnten Male, ohne daß sich etwas Nennenswertes ereignet hätte, an derselben Stelle vorbeigekommen war, wurde es noch einmal eng, als der Anführer der Banditen unvermittelt einen Drugstore betrat. Obwohl er sich beim Hinausgehen zwischen Winnetou und Old Scrabble hindurchdrängen und danach Old Shoehand zur Seite schieben mußte - Old Shoehand hatte meinen Wink mißverstanden und versuchte nun, ihn mit Gewalt am Hinausgehen zu hindern - konnten wir doch davon ausgehen, daß er keinen Verdacht geschöpft hatte, zumal Winnetou in diesem Drugstore seinen Medizinbeutel mit Tabletten nachgefüllt hatte.

Für den Indianer gilt der Medizinbeutel ebenso wie die Friedenspfeife als höchst heilig. Sein Inhalt versetzt ihn nämlich in die Lage, selbst stärkste Schmerzen mannhaft zu ertragen.

Ich nahm die Verfolgung dieses niederträchtigen Mannes wieder auf. Sie führte mich in die Nähe der "Bank of Sacramento", wo ich mit Schrecken dessen gewahr wurde, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hatte. Das Gros der Banditen war in die Bank eingedrungen und, nun bedrohten sie den Kassierer mit ihren Revolvern.

Dies erkennend und "Thunderstorm!" ausrufend, stürzte ich in die Bank. Mich wiederaufrichtend sagte ich, überlegen die Arme über der Brust verschränkt:

"Werft die Waffen weg und übergebt Euch!"

"Damn it, du räudiger Hund! Stell dich zu den anderen Geiseln, wir sprechen uns noch!"

"Gut, Ihr habt es nicht anders gewollt", sagte ich, einem Fußtritte beinahe ausweichend, und zog daraufhin langsam meine Schneebrille ab: Ein Schrei des Entsetzens entfuhr den in der Bank stehenden, schwerbewaffneten Banditen, als sie mich erkannten. Starr vor Schreck ließen sie die Waffen fallen, und mit zitternden Knien warfen sie sich vor mir nieder, während sich ein Jubel- und Hosiannageschrei der ehemaligen Geiseln entlud.

Ich riß dem vor Angst bebenden, memmenfeigen Anführer die Weste auf und nahm meine wertvolle Rolle an mich. Dann schob ich den Anführer vor mir her hinaus aus der Bank, um ihn dem Arm des Gesetzes zu überantworten. Die übrigen Banditen wurden von meinen Gefährten in Schach gehalten.

Doch was mußte ich erblicken als ich vor das Bankgebäude trat! Winnetou, der als Letzter in der Reihe beim Eintritt in die Bank offensichtlich den Anschluß verloren hatte, war von zwei wacheschiebenden Banditen gefangengenommen und gefesselt worden. Sie hatten seine Stärke wohl verkannt, sonst hätten sie dies nie gewagt. Ich rief aus:

"Zounds! Wie konnte das geschehen?" worauf einer der beiden dreisten Schurken, die mich hinter ihrem Anführer wohl nicht erkannten, frech folgendes Angebot machte:

"Hör zu, rückst du für das Leben dieser räudigen Rothaut, die wir hier gefangen halten, unseren Chef heraus?"

"Ja, um meinen Freund zu retten, tue ich alles.

"Hierauf schrie Winnetou empört auf:

"Was, du tauschst deinen Blutsbruder gegen diesen lumpigen Banditen?"

Da hatte er natürlich Recht, und nachdem mir die gefangenen Banditen beim Feilschen mit Winnetou ausgegangen waren, sagte ich schließlich ermattet:

"Nun gut, Winnetou. Paß auf. Ich lege jetzt noch den Schatzplan oben drauf. Bist du dann zufrieden?"

Winnetou gab sein "Haouwgh!", und damit war der Handel unwiderruflich abgemacht und Winnetous Ruf gerettet. Der Tausch wurde schnell vollzogen und eine Waffenstillstandsfrist bis zum Abend vereinbart. Daraufhin machten die feigen Banditen sich aus dem Staube. Mit ihnen der Schatzplan.



9. Die Feuerhölle


Wir begaben uns in den Saloon, um den Erfolg zu feiern. Das Gerücht unserer Heldentat verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Es war uns schon in den Saloon vorausgeeilt, und als wir eintrafen, erstarb die Unterhaltung für einen Augenblick, und alle Blicke waren bewundernd auf mich gerichtet. Auch das unabdingbare Klavierspiel setzte für einen Moment aus. Nach einer gewährenden Geste meinerseits hob die Unterhaltung dann um so lebhafter wieder an.

Schnell wurde vom Wirt für uns ein Tisch geräumt, und wir ließen uns nieder. Zur Feier des Tages lud ich meine Freunde, die erst Pokern wollten, zu einer Schafskopfrunde ein:

"Freunde, spielen wir unter uns, ich will keine Fremden ausnehmen.

"Hiermit begannen wir das Spiel. Nach drei Stunden mußten wir es abbrechen, da es meinen Freunden augenscheinlich am nötigen Spielgeiste mangelte, sich ihr Geld wieder zurückzuerspielen.

Übrigens war mir seit längerem ein Tisch dadurch nachteilig aufgefallen, daß man dort nicht von meinen Heldentaten erzählte, wie es sonst an allen Tischen der Fall war. Dies machte ihn mir verdächtig, und ich hörte der Unterhaltung an dem etwa zehn sächsische Ellen entfernten Tische zu, was äußerste Konzentration erforderte.

Man denkt sich dabei sämtliche anderen Tischrunden weg, und somit entfallen auch ihre Gespräche, welche ja nicht aus dem Nichts entstehen können. Dem ungeübten Leser mag solcherlei nicht sogleich gelingen, denn zur Vollendung dieser Kunst bedarf es langjähriger Übung und Erfahrung in der Stille der Prairie.

Aus dem Gespräch erfuhr ich Folgendes: Es handelte sich um die Tramps, die ich am Vorabend belauscht hatte. Ihr Wortführer erzählte, er habe erfahren, daß die Banditen im Besitze eines Schatzplanes seien.

"Das habe ich gestern Nacht von unseren Zimmernachbarn erlauscht, den seltsamen Waldläufern und ihrem dummen Redskin, der mich beinahe bemerkt hätte, als ich eine Katze nachgeahmt hatte, um mich zu tarnen.

"Außerdem habe er von den Banditen erlauscht, daß sie mit dem nächtlichen Postzug die Stadt verlassen wollten. Ich ärgerte mich gerade darüber, wie unerhört es doch immer wieder ist, wie unverfroren dieses Pack seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckt, da stand einer der Kerle auf, kam langsam auf mich zu und sagte finsteren Blickes, sich herausfordernd vor mich hinstellend:

"Was stierst du uns so an, Kojote?" Daraufhin schickte er sich an, zu seinem Platz zurückzukehren. Aufspringen, ihm in die Augen blicken und sagen:

"Meine Freunde werden das nicht auf sich sitzen lassen", war das Werk eines einzigen Augenblickes.

Da sprang der Wortführer der Tramps auf und rief:

"Die wollen Ärger! Den können sie haben!"

Damit stürzten sie sich auf meine Freunde. Im Nu brach ein Tumult aus, und der ganze Saloon verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Sofort riß ich Tante Proll zu mir hinter die Theke und beauftragte ihn, die Eisenbahngesellschaft zu warnen und zu erklären, Old Schlotterhand werde sich des Falles annehmen, weswegen der Zug getrost planmäßig abfahren solle. Er machte sich sogleich auf den Weg und war bald im Kampfgetümmel, wo sich unser Wirt, Conan, der Barbier, mit seiner Streitaxt besonders hervortat, verschwunden. Der Saloon war schon von Pulverdampf und Trümmern erfüllt, die Galerie halb heruntergerissen, als plötzlich Winnetou zu mir hinter die Theke geflogen kam. Der Kampf begann also, für uns eine bedrohliche Wendung zu nehmen, was für mich das Zeichen zum Eingreifen war.

Ich beugte mich über die Theke, riß einem der Daliegenden ein Stück seines Hemdes ab und griff mir die nächste Rumflasche. Dann entkorkte ich sie, steckte den Fetzen zur Hälfte hinein und, nachdem ich sie wieder verschlossen hatte, entzündete ich die so hergestellte Brandbombe. Nun schmiß ich sie in das Zentrum des Kampfes, wo die Tramps zu vermuten waren. Die durch die Flammen entstehende Verwirrung nutzten wir, um uns aus dem Gefecht zurückzuziehen.

Auf dem Wege zu den Pferden fragte ich Old Geierhand, wie spät es sei.

"Frag doch mal Old Timer, das alte Coon", war seine Antwort.

"Spät genug", sagte Old Timer, "die Tramps sind bereits seit einer halben Stunde fort."

Eilends saßen wir auf, um die Verfolgung aufzunehmen. Durch das immer weiter um sich greifende Feuer galoppierten wir so schnell wie möglich in Richtung Bahnlinie.

Noch von Ferne sahen wir den feuerroten Schein der lodernden Stadt, und selbst meine Freunde hatten etliche Brandwunden zu beklagen. Wieder einmal hatten die Tramps auf ihrem Wege Feuer und Schrecken verbreitet!



10. Der Hinterhalt

In einiger Entfernung ließ ich anhalten und durchzählen. Ich stellte mit Befriedigung fest, daß wir alle dem Inferno der apokalyptischen Flammenhölle glücklich entronnen waren.

"Männer! Auf - ähhm - unerklärliche Weise müssen die Tramps erfahren haben, daß unser Schatzplan in die Hände der Banditen gefallen ist. Sie wissen außerdem, daß die Banditen mit dem Zug fliehen wollen. Selbstverständlich werden sie versuchen, den Postzug zu überfallen und den Plan an sich zu reißen. Das ist die Lage! Wollen wir das zulassen?"

"Niemals, niemals!"

"Ich wußte, daß ich auf Euch zählen kann. Wir werden uns also aufmachen, dieses ruchlose Vorhaben zu vereiteln. Laßt uns der Spur der Tramps nun weiter folgen!"

"Recht so, Kai!" stimmte Old Geierhand mir zu.

"Übrigens, ab jetzt dürft Ihr mich wieder Old Schlotterhand nennen!" erwiderte ich, womit ich mein Pferd herumriß und die Verfolgung eröffnete.

Unter dem Donnern der Hufe unserer Pferde sprengten wir über die Grassteppe dahin. Das Auge weiß in diesem einem Ozean gleichen wollenden Wellenspiele der unter dem Wehen des Windes wallenden, wogenden Weiden im weiten Wiesenmeere kaum einen Halt zu finden. Einzig die Bahnlinie, die sich wie eine langgezogene Schnur durch das Land zieht, vermag dem Blicke des Westmannes einen Anhaltspunkt zu bieten.

Plötzlich glaubte ich, die Stimme meines Blutsbruders gehört zu haben.

"Wie? Was will Winnetou?" fragte ich, aufblickend. Old Scrabble antwortete mir:

"Winnetou wollte sagen, daß er etwas Großes bei den Gleisen erspäht habe. "

Damit deutete er nach vorne in Richtung der Bahnlinie, wohin auch die Spur der Tramps nun führte. Wir hielten an, und ich betrachtete selbst eingehend die Gleise und, wirklich, dort war eine kleine Rauchsäule auszumachen, die ich schon lange erwartet hatte.

"Na, bitte", sagte ich. "Winnetou, du hast recht gehabt, da vorne lagern die Tramps. Du wirst es übernehmen, den Zug zu warnen! Reite ihm also nach Osten entgegen und halte ihn auf!"

Winnetou schwang sich über sein Pferd, stand auf, klopfte sich den Staub von den Leggins und saß erneut auf. Ohne ein Wort zu verlieren, galoppierte er daraufhin fort. In stiller Bewunderung sahen wir ihm noch lange nach, wie er mit wehendem Haar der rotgoldenen Scheibe der Abendsonne entgegenritt.

Wir setzten uns hin, und ich sagte:

"Wir werden nun schweigend hier den Einbruch der Dunkelheit abwarten und uns dann an das Lager der Tramps heranschleichen, um sie zu umzingeln und dingfest zu machen. Und daß mir keiner auch nur ein einziges Wort spricht! Sonst bemerkt uns noch ein Wachtposten oder Späher der Tramps!"

Auf einen Wink meinerseits legte sich auch Hatahitler leise nieder und veranlaßte so die Pferde meiner Gefährten, es ihm gleichzutun. Auf einmal hub Old Timer an:

"Aber Winnetou ist ja."

"Psst! Psst!" zischte ich ihn an, verärgert über seinen Ungehorsam. Doch kaum waren einige Minuten vergangen, als nun auch noch Old Shoehand anfing:

"Natürlich! Winnetou ist ja nach."

Das war unerhört! Ich sprang erzürnt auf und brüllte sie voller Wut an:

"Seid Ihr noch zu retten? Wenn Ihr weiterhin so redet, werden die Tramps uns natürlich entdecken! Ihr Unvorsichtigen! In dieser Lage können wir uns keine Eigenmächtigkeiten leisten!"

Damit setzte ich mich langsam wieder hin. Inzwischen war es völlig dunkel geworden, so daß wir unser Vorhaben beginnen konnten.

So schlichen wir denn in die Nähe der Stelle, wo wir die Tramps hinter dem Gebüsch vermuteten. Wir waren noch nicht weit durch die Sträucher vorgekrochen, da stupste mich mein treues Pferd mit den Nüstern an, um mich auf die Nähe der Tramps aufmerksam zu machen. Was für ein vorsichtiges Tier, daß es die Gefahr der Situation völlig erspürt hatte! Von nun an krochen wir um so lautloser weiter, bis ich schließlich des ganzen Lagers der Tramps gewahr wurde.

Zum besseren Verständnisse des nun Folgenden muß ich erwähnen, daß ich allerdings nicht mit einer so großen Zahl von Tramps gerechnet hatte. Es mußten wohl welche außerhalb der Stadt gelagert haben, denn hier vor uns erblickten ich und meine Gefährten nicht weniger als fünfzig dieser Schurken.

Innerlich erschreckend wandte ich mich an meine Gefährten:

"Kameraden, einen von uns erwartet eine sehr gefährliche Aufgabe! Wie Ihr seht, übersteigt die Anzahl der Feinde meine Berechnungen um Vieles. Wir können sie im offenen Angriff nicht überwinden. Dort drüben sitzen ihre Anführer. Es gibt nur eine Möglichkeit - traut sich einer von Euch, diese waghalsige Heldentat auf sich zu nehmen?"

Ich hörte das Schlucken meiner Gefährten. Schließlich begann Old Timer:

"Ich könnte meinen Fehler von vorhin vielleicht wiedergutmachen ."

"Nein, gerade du nicht, Old Timer, altes Coon! Dir möchte ich das nicht zumuten, ich habe dir längst verziehen. Ich selber werde es tun. Nein, meine Freunde, ich werde diese schwere Aufgabe, die große Tapferkeit erfordert, auf mich nehmen: Sofort werde ich aufbrechen und den Ritt nach Fort Sale unternehmen, um Hilfe zu holen, denn ich weiß, die Gefahr unserer Entdeckung ist groß.! Nein, Old Shoehand, ich werde das Wagnis allein auf mich nehmen. Du wirst hier an dieser Stelle gebraucht. Ihr müßt die Tramps beobachten, bis ich zurückkomme. Laßt sie nicht entkommen!"

Ihre Anhänglichkeit rührte mich, doch schließlich mußte ich meinen Blick und mich selbst von meinen Gefährten losreißen, wenngleich es mir Schmerzen bereitete. Ich drehte mich um und schwang mich auf mein Pferd, das in großen Sätzen durch das Gebüsch brach. Bald war ich in Sicherheit, und wiederholt mich umwendend schlug ich den Weg nach Fort Sale ein.

Die Zeit drängte angesichts der mißlichen Lage meiner Gefährten, und so sah ich mich gezwungen, von einem Mittel Gebrauch zu machen, welches ich nur in äußerster Bedrängnis anzuwenden pflege. Wie der geneigte Leser sicherlich weiß, habe ich des öfteren Reisen in den Orient unternommen, die mich auch zu den Arabern führten, welche zu den besten Reitervölkern der Welt zählen. Sie waren es auch, die mich dies geheime Wissen lehrten.

Und zwar geht es darum, aus einem Pferde auch noch das Letzte an Schnelligkeit herauszulocken. Den hierfür nötigen Kunstgriff hatte mich der berühmte Scheik Hadschi Hammadi S'el Ben Sin Ibn Saud Oof auf einem meiner berühmtesten Abenteuer, welches mich unter Anderem nach Mokka führte, gelehrt.

Mit dem Kniff verhält es sich so, daß man je nach der erforderten Geschwindigkeit das rechte Ohr des Pferdes nach unten drückt, worauf es seine Geschwindigkeit bis zum äußersten steigert. Natürlich darf man das Pferd nicht zu lange bei höchster Anstrengung reiten, da es sonst bis zum Tode überlastet wird.

Um daher diese übermäßige Belastung des Tieres zu verhindern, habe ich auf meinen Reisen dieses "Geheimnis" noch dahingehend verfeinert, daß ich durch kurzzeitiges Niederdrücken des linken Ohres das Pferd dazu veranlassen kann, eine der Geschwindigkeit angepaßte Gangart zu wählen. Will man wieder langsamer werden, zieht man einfach an den Zügeln, wobei man jedoch darauf bedacht sein muß, das Pferd nicht abzuwürgen.



11. Der General


Bald entdeckte ich Fort Sale, welches nur einen kleinen Vorposten im Indianerlande darstellte. Am Tor angekommen, wurde ich vom Wachtposten angehalten:

"Halt, wer da?"

"Ich bin's."

Sofort war meine Stimme erkannt worden, wie ich aus lauten freudigen Ausrufen und emsigem Gewisper, das sofort einsetzte, schließen konnte. Gerade wollte ich eintreten, als der Kommandant des Forts mit strahlendem Gesichte mir durch das Tor, das er aber sofort hinter sich wieder verschloß, entgegentrat. Es war mein alter Freund General Zaster, der sowohl durch seine Geld-, wie auch durch seine Indianerliebe im ganzen Westen bekannt war.

"Wir freuen uns außerordentlich, hm, daß Ihr gerade uns die Ehre geben wollt ."

Er drehte sich um und rief:

"Fertig?" womit er sich wieder mir zuwandte und sagte:

"Hiermit darf ich Euch im Namen der ganzen Armee der Vereinigten Staaten von Amerika herzlichst willkommen heißen!"

Dann schlugen die Torflügel begleitet von lautem Tusch, Salut und Hurrageschrei auf, und General Zaster geleitete mich unter schmetternden Klängen der Militärkapelle durch die Hauptgasse des Forts, vorbei an fackeltragenden Soldaten, die nach ihren Truppengattungen geordnet angetreten waren, um mich zu begrüßen.

Der Leser wird ob dieses Empfanges mit militärischen Ehren erstaunt sein, doch gehörte ich seit etlichen Jahren der Armee ehrenhalber an, seit mich der Präsident Pincoln als Belohnung für meine Verdienste in den Indianerkriegen höchstpersönlich in den Rang eines "Geheimgenerals" erhoben hatte, nachdem er mir zuvor den Orden "Pour le dekolleté" verleihen mußte.

Nach einigen Worten des gerührten Dankes begab ich mich mit den anderen Offizieren ins Offizierskasino, wo General Zaster mich höflich bat, Platz zu nehmen.

"Nein, nein, meine Gefährten befinden sich in größter Gefahr, was auch der Grund für mein eiliges Herkommen ist."

"Aber setzt Euch doch erst einmal, mein lieber Geheimgeneral. Was darf ich Euch anbieten? Wollt Ihr uns denn nicht eins von Euren Abenteuern zum Besten geben?"

Der lauten Zustimmung auf diesen Vorschlag konnte ich denn nicht widerstehen und ließ mich in den Sessel drücken.

"Aber nur eine einzige Geschichte. Auf einer meiner letzten Reisen am Amazonas trug es sich zu .", und der Raum versank in eine andächtige Stille, welche nur durch meine Stimme und durch die ständig in das Offizierskasino nachdrängenden Soldaten gestört wurde. Selbst den Wachen wurde erlaubt zuzuhören, denn man wußte sich in meiner Anwesenheit völlig sicher.

Bei der Beschreibung angelangt, wie ich im tiefsten Urwalde die Palisaden eines Indianerlagers nachts entwendete, um mir damit ein Floß zu bauen, ohne daß es auch nur ein einziger dieser lausigen Indsmen bemerkt hätte, wurde mir langsam wieder einmal bewußt, wie bildlich und lebhaft ich doch erzählen konnte, denn wie meine Zuhörer, so glaubte auch ich das Sägen und das Schlagen der Äxte wirklich zu vernehmen.

Nach Beendigung dieses Abenteuers fragte mich General Zaster durch den tobenden Applaus wegen meines gelungenen Husarenstücks, ob es nicht angebracht wäre, sich aufzumachen, meinen Freunden zu Hilfe zu eilen.

"Nein, nein, laßt mich doch erst noch erzählen wie es zu dieser mißlichen Lage kam."

Der General setzte sich wieder hin, ich lehnte mich zurück, und in die einsetzende Stille hinein begann ich die Schilderung dieses Abenteuers seit meiner Ankunft bei den Apalachen bis zu jenem Zeitpunkt, wo ich meine Gefährten beiden Tramps zurücklassen mußte.

"Und deshalb, meine Herren, begab ich mich eiligst hierher, um so schnell wie möglich ihre Hilfe zu holen."

Nun ließen sich die Offiziere allerdings nicht mehr daran hindern, ihre Pflicht als Soldaten zu erfüllen und drängten aus dem Kasino hinaus. Im Hinausgehen versuchte ich noch, eine doch gar zu köstliche Anekdote anzubringen, welche zu meinem Bedauern jedoch im allgemeinen Gedränge unterging, was aber nur auf den ehrenvollen Pflichteifer der Soldaten zurückzuführen sein konnte.

Ein Schrei des Entsetzens durchfuhr plötzlich das ganze Fort. In aller Hast drängte ich nach außen. Im Dunkel den Horizont erahnen und die Situation erfassen war das Werk eines Augenblickes. Zu meinem größten Entsetzen waren alle Pfähle der Palisade verschwunden. Gestohlen. Auch der Kommandant schien allmählich zu begreifen.

"Ihr solltet Eure Geschichten nicht zu sehr verbreiten. Das können nur Eure Tramps gewesen sein!" murmelte er vor sich hin. Ich konnte mich nicht mehr halten vor Entrüstung. Diese ruchlose, feige Bande! Wie konnten sie es wagen, in meiner Gegenwart eine solche Schurkerei auszuführen.

"Kameraden, diese wahnwitzigen Schurken haben euer Vertrauen in mich auf die niederträchtigste Weise mißbraucht. Doch laßt uns jetzt aufbrechen, diese Tat zu rächen!"

Die ganze Besatzung des Forts machte sich mit mir unter meinem Kommando auf, und so gelangten wir bald darauf in die Nähe des Ortes, wo ich meine Gefährten verlassen hatte.

Mittlerweile war es Morgen geworden, und im nun einbrechenden Tageslichte bot sich dem Auge ein unglaubliches Bild der Zerstörung dar. Irgend etwas mußte Winnetou daran gehindert haben, den Zug zu warnen, denn letzterer lag entgleist vor uns neben den Schienen. Lok und Waggons schwelten noch, und auch von der aus Palisadenstämmen errichteten Barrikade stieg schwarzer Rauch zum Himmel.

Das Unglück mußte schon vor einiger Zeit stattgefunden haben, denn selbst am Horizonte war keine Spur mehr von den Tramps zu sehen. Hier dagegen hatten sie ihre Handschrift um so deutlicher hinterlassen. Keinem der Banditen, die ja an ihrer schwarzen Kleidung gut zu erkennen waren, schien es gelungen zu sein, dem Überfall der Tramps zu entrinnen. Diese hatten es offenbar nur auf die Banditen abgesehen, da keine toten Zuggäste zu sehen waren.

Ich stieg vorne in den Zug und begann, ihn zu durchsuchen. Über Leichen der Banditen gehend, stieß ich bis zum letzten Wagen vor, wobei mich sehr behinderte, daß der Zug auf der Seite lag, beide Revolver im Anschlag, ohne daß ich etwas Nennenswertes gesehen hätte.

Schließlich trat ich mit dem Fuß die Tür zum letzten Abteil ein und stürzte wie in die vorangegangenen, "Hands up!" schreiend, hinein. Um mich herum entlud sich ein Aufschrei des Entsetzens, welcher jedoch augenblicklich in laute Wut umschlug, als einer der Passagiere, die sich offensichtlich hier in diesem Abteil verschanzt hatten, erzürnt rief:

"Du bist doch auch einer von diesen treulosen Waldläufern um Old Schlotterhand, die uns normalerweise vor so etwas schützen sollen!"

Da meldete sich plötzlich eine schwarz gefiederte Gestalt aus einer Ecke mit einer wohlbekannten Fistelstimme zu Wort:

"Old Schlotterhand, da seid Ihr ja!"

"Old Schlotterhand? Mein Name ist Marl. Kai Marl, damn, wer ist dieser Mensch überhaupt?"

"Zounds, das ist der Schurke, der uns weismachen wollte, Old Schlotterhand würde diesen Überfall vereiteln. Wegen dieser Lüge haben wir ihn geteert und gefedert."

Darauf fühlte ich mich genötigt zu entgegnen:

"Aber Leute, wie könnt Ihr es wagen, an dem unermeßlichen Ratschlusse Old Schlotterhands zu zweifeln? Bestimmt hatte er Wichtigeres zu tun. Niemand kennt den Tag noch die Stunde, wann er kommt. Nicht ihm müßt Ihr zürnen, sondern Euch selbst, da er Euch offensichtlich seines Eingreifens nicht für würdig genug erachtete. Die Bestrafung des Schurken werde ich trotzdem übernehmen."

Ohne ein weiteres Wort winkte ich Tante Proll heraus und ließ die Beschämten stehen. Plötzlich kam mir ins Bewußtsein, daß ich noch gar nicht an meine Gefährten gedacht hatte, die, so hoffte ich, die Verfolgung der Tramps aufgenommen hatten. Tante Proll hieß ich sich bis auf weiteres im Gebüsch verstecken.

Darauf begab ich mich etwas abseits, um die Fährten meiner Freunde zu suchen. Wie erschrocken war ich, als ich plötzlich eine Stimme aus dem Gebüsch hörte:

"Old Schlotterhand, kann ich nun hervorkommen?" Das war Cold Death. Wie listig erschien es mir, daß meine Gefährten wohl einen zurückgelassen hatten, um mir zu sagen, wohin sie sich gewandt hätten. Jedoch bedeutete ich ihm, sich einstweilen ruhig zu verhalten und Tante Proll zu rupfen, den ich ihm schicken würde.

Auf dem Wege zu Tante Prolls Versteck ließ ich meinen Blick noch einmal über das Wrack des Zuges und die von der Kavallerie fein säuberlich aufgereihten toten Banditen gleiten. Da plötzlich erspähte mein geübter Blick unter den tausenderlei durchgewühlten Briefen der Postfracht, welche zwischen den Trümmern verstreut lag, ein indianisch geschriebenes Wort, das "Schatzplan" bedeutete. Sofort eilte ich dorthin, und als ich es näher betrachtete, stellte es sich als ein abgerissenes Stück von Winnetous geraubtem Schatzplan heraus.

Der Leser mag glauben, daß dies das Werk des Zufalls gewesen sei, doch immer wieder habe ich auf meinen Reisen erfahren, wie die Vorsehung in den schlimmsten Lagen ob meiner guten Werke günstig in den Verlauf meines Schicksals eingegriffen hat. Für mich gibt es keinen Zufall. Alles hat einen höheren Sinn, wenn er auch manchmal schwer zu konstruieren ist.

Ich steckte das Papier rasch ein und begab mich zurück zur Spitze des Zuges, da dort gerade ein kleiner Tumult entstanden war. General Zaster kam mir entgegen:

"Fünf Banditen haben wir hier im Gebüsch gestellt. Was meint Ihr, Herr Geheimgeneral?"

"Fünf, unmöglich!"

Zu meinem Entsetzen und zu meiner maßlosen Enttäuschung standen meine Gefährten vollzählig vor mir. Keiner war also den Tramps gefolgt.

"Herr General Zaster, nun, äh, das sind arme, hirn-, äh, harmlose Männer aus Lodge City. Ich habe sie dort schon einmal gesehen. Sie können sie ruhig mir überlassen. Im übrigen denke ich, daß ich die Arbeit nun selbst erledigen kann, wenn Sie nur die toten Banditen mitnehmen würden ."

"Old Schlotterhand, hat sich da nicht gerade ein Nigger im Gebüsch bewegt?"

"Wie, ein Schwarzer, unmöglich. General Zaster, ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, wenn Sie sich nun bitte in Ihr Fort zurückbegeben würden .", drängte ich, während ich ihn zu seinem Pferde schob.

Bald war die Kavallerie nicht mehr zu sehen, und ich konnte mich meinen Gefährten zuwenden. Ich stieg auf den umgestürzten Zug und begann von oben herab:

"Freunde, ich bin tief enttäuscht. Wegen Eurer eigenmächtigen Uneigenmächtigkeit! Ihr hättet uneigenmächtig eigenmächtig handeln sollen. Wie konntet Ihr die Tramps eigentlich entkommen lassen? Seid Ihr überhaupt zu Westmännern geeignet?"

Trotzdem ich verständlicherweise sehr aufgebracht war, siegte in mir meine Milde, und freundlicher lächelnd stieg ich vom Zuge hinab.

"Nun zu etwas Anderem. Wer von Euch hat die Rolle tapfer an sich genommen und verteidigt?"

Old Timer fragte erstaunt:

"Rolle? Welche Rolle? Wir haben die ganze Zeit die Stellung im Gebüsch gehalten."

Meine natürliche Reaktion hierauf möchte ich übergehen. Es genügt festzustellen, daß der Schatzplan von den Tramps erbeutet worden war. So blieb mir denn einzig die Möglichkeit, aus dem Fetzen, den ich gefunden hatte, den ganzen Plan zu rekonstruieren.

Die meisten Westmänner hätte dies vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Doch ich, der ich wegen meiner Bildung schon oft verkannt worden war, hatte mich niemals von meiner kleinen Reisebibliothek getrennt. Das sollte mir auch in dieser Situation wieder einmal helfen.

So nahm ich mir denn meinen Handatlas vor und verglich das Pergamentstück mit den einzelnen Karten, indem ich es unter ständigen Drehbewegungen mit der Karte in Einklang zu bringen suchte. Nach einigen erfolglosen Versuchen stieß ich auf den Abschnitt "Nordamerika". Nun dauerte es gar nicht einmal mehr so lange, da hatte ich die richtige Position und auch den passenden Kartenmaßstab gefunden.

Jetzt ging es an die schwierigere Aufgabe, nämlich die analytische Untersuchung der Wegbahn, die zum Schatze führen sollte. Dazu zeichnete ich das Stück des Weges, welches noch auf meinem Fetzen zu erkennen war, mit Schwung nach und durch, bis der Strich an einem Berg in den Rocky Mountains anstieß. Dort mußte die geheimnisvolle Höhle liegen - Indianer benutzen meistens Höhlen, um ihre Nuggets zu verstecken.

Da wir so über das Ziel der Tramps im Bilde waren, konnten wir es uns leisten, einige Stunden zum Mittagsmahle zu bleiben. Ich hatte einige Lunchpakete von der Fortbesatzung mit auf den Weg bekommen. Doch wie es bei Kommißessen so üblich ist, war es kaum genießbar, weshalb diese Art von Essen überall in den Staaten nur "fast Food" genannt wird.



12. Durst


Als wir das Mahl beendet hatten, brachen wir auf, die Tramps zu verfolgen. Der Leser wird sich wahrscheinlich wundern, warum wir nicht nach Winnetou suchten, doch geschah es öfters in unseren Abenteuern, daß sich unsere Wege trennten, aber Blutsbrüder finden sich auf geheimnisvolle Weise immer wieder.

So waren wir denn auch nicht lange am Bahndamme entlang gen Westen geritten, als mitten in die brütende Sonne hinein Cold Death sein Pferd an meine Seite heranführte und sagte:

"Da vorne, Old Schlotterhand, seht Ihr auch jenen Reiter am Bahndamm stehen?"

"Ja, ja, das muß Winnetou sein", warf Old Timer ein, "nicht wahr, Old Scrabble?"

"It's clear, wer sonst?" wobei dieser ein seltsames Lachen ausstieß, in das meine Begleiter sogleich einstimmten. Noch zweifelnd sprengte ich voller Neugierde voraus und dem einsam dort auf der Höhe stehenden Reiter zu. Zu meinem größten Erstaunen entpuppte sich dieser zuerst als Indianer und später, als ich näher kam, als Winnetou höchstpersönlich. Was hatte ich doch für schlaue Kameraden. Stolz ergriff mich, daß ich mich in Begleitung solch hervorragender Westmänner befand, und daß sie mir so wohl geraten waren.

Winnetou bemerkte unser Nahen nicht, da er uns den Rücken zukehrte und beständig nach Westen Ausschau hielt, auf einen Gegenstand, welcher sich offensichtlich unseren Blicken entzog. Er war so in seine Wachsamkeit vertieft, daß es schier unmöglich schien, seine Aufmerksamkeit auch nur irgendwie zu erregen.

Freudig umringten wir ihn bald darauf. Nach der überaus freudig-heiteren Begrüßung wollten wir gerade wieder aufbrechen, als Winnetou meinte:

"Das eiserne Roß war immer noch nicht da!"

Kopfschüttelnd lächelte ich über seine naive Ausdrucksweise, als mir plötzlich eine schlimme Ahnung aufstieg, doch verdrängte ich den frevelhaften Gedanken sogleich und entgegnete:

"Das hat sich erledigt, mein lieber Winnetou. Wir müssen die bösen Tramps einholen."

Daraufhin erklärte ich ihm, daß wir nun wüßten, wo der Schatz liege, und daß die Tramps allerdings einen Vorsprung hätten, welchen es für uns wettzumachen gelte.

Unser Weg führte uns weiter in die Prairie. Zwei Tage lang ritten wir so unter der gleißenden Sonne, welche die Prairie in eine gelbverdorrte Steppe verwandelt hatte. Am zweiten Nachmittage schließlich gingen sowohl Nahrungsmittel als auch Trinkwasservorrat zu Ende.

Mit trockener Kehle krächzte Old Geierhand mit kreisenden Augen plötzlich in das immer wiederkehrende, eintönige Schlurfen der sich vorwärts schleppenden Gäule, wobei die Füße der Reiter den Boden berühren wollten:

"Alles Eure Schuld, Old Schlotterhand! Alles wegen der blöden Rasur! Wenn Ihr bloß nicht befohlen hättet ."

"Schweig still!" unterbrach ich ihn unwillig und beendete damit zum wiederholten Male das immer wieder aufkommende Murren meiner Begleiter. Mir war nämlich sehr wohl aufgefallen, daß meine Gefährten in Lodge City bisweilen hinter vorgehaltener Hand als Landstreicher bezeichnet worden waren. Um diese bodenlos freche Verleumdung Lügen zu strafen, hatte ich nach dem Verlassen der Stadt angeordnet, sich ab jetzt unter allen Umständen jeden Tag zu rasieren. Es sollte mir nicht noch einmal passieren, daß man mich in unangemessener Gesellschaft vermutete.

Unglücklicherweise trafen wir in den nächsten zwei Tagen entgegen aller Erwartung und Erfahrung auf keine Menschenseele. Dies zu meinem völligem Unverständnis, da es auf meinen sonstigen Reisen stets so üblich gewesen war.

"Würden wir", fragte mich lauernd Old Scrabble, "unser Wasser jetzt zum Rasieren oder zum Trinken verwenden, wenn wir welches hätten?"

"Ganz gewiß zum Rasieren", entgegnete ich möglichst ungezwungen. "Ich habe schon meine Gründe. Im Wilden Westen muß man immer darauf gefaßt sein, Fremde anzutreffen. Das wißt Ihr doch. Allzeit bereit!"

Ich fühlte mich dazu aus erzieherischen Gründen genötigt, da sonst meine Stellung untergraben zu werden drohte.

Nun schaltete sich Old Shoehand ein:

"Ich würde das Wasser aber auch lieber zum Trinken haben."

"Nein, wir rasieren uns!" beharrte ich.

"Und wenn wir nur ganz, ganz wenig Wasser hätten?" meinte Cold Death.

"Auch dann. Im übrigen haben wir dann genug Wasser."

"Von wegen, unser Wasser reicht aber nur zum Rasieren", warf Old Timer ein.

"Zuerst Rasieren!"

"Wenn wir uns rasieren müssen - Winnetou braucht das als Indianer ja nicht - soll er dann etwa seinen Teil trinken dürfen?" fragte Old Geierhand.

"Zuerst Rasieren, wie äh. ja!" antwortete ich schon ungehalten. Winnetou:

"Ich hab Durst!"

"Das Wasser reicht ja gar nicht für alle!"

"Rasieren, Rasieren!"

"Wer muß denn zuerst?" Tante Proll meinte, auch etwas sagen zu müssen:

"Muß ich mich auch rasieren?"

"Still, du Neger!"

"Aber es ist doch nur Teer."

"Und wenn man sich dafür einen Schnauzbart stehen ließe und dann."

"Wir rasieren!"

"Ach ja! Und Tante Proll darf seinen Bart behalten, wie?"

"Streitet Euch doch nicht um des Kaisers Bart, dann werde ich eben Winnetous und Tante Proll Rationen trinken, und zwar selber!" "Schwarzer!"

"Rothaut!"

"Nigger!"

"Bleichgesicht!"

"Trunkenbold!"

"Du Bartloser Eunuch!"

"Selber!"

"Du mich auch!"

Da ich solche heftigen Prügeleien, wie sich nun eine entspann aufs tiefste verabscheue, spornte ich mein Pferd an und nahm etwas voraus einen kräftigen Schluck aus meiner geheimen Ersatzfeldflasche und versteckte sie wieder. Hatte der Durst die Gehirne meiner Gefährten schon so ausgedörrt, so mußte wenigstens einer von uns kühlen Kopf bewahren können.

Ich ließ meinen Blick in die Ferne der Prairie schweifen, und da überfiel mich die Sorge, wie wir bis zum Einholen der Tramps unsere Mägen wie auch die Kapitel wohl füllen sollten. Nach so langer Zeit in der Prairie wird der Leser sich wundern, warum ich noch keine Büffel erwähnt habe. Doch hatten sich die Ereignisse bisher derart überschlagen, daß sich für Büffel beim besten Willen keine Gelegenheit ergeben hätte.

Nun aber verscheuchte mit einem Male ein dumpfes, dröhnend von Ferne heranrasendes Donnern die trüben Gedanken. Ich blickte auf und sah - Büffel! - Bitte schön!



13. Die Büffeljagd


"Na also!" dachte ich und sprengte zu meinen erschöpft daliegenden Gefährten zurück.

"Die Büffel sind da!" rief ich aufmunternd. Im Nu hellten sich ihre Gesichter auf, und meine Gefährten griffen nach ihren Gewehren. Eilends saßen wir auf, den Büffeln entgegen zu reiten. Old Shoehand schlug vor:

"Am besten schießen wir so viele wie möglich nieder und suchen uns aus den Überlebenden, also den Besten, den schmackhaftesten Büffel aus. Heighday, das wird ein Fest!"

"Aber nicht doch, liebe Freunde", lachte ich, "ist das westmanlike? Das macht vielleicht ein Sonntagsjäger, ein Greenhorn mit glänzenden Stiefeln, blitzblanken Waffen und glänzend glatt rasiertem Kinn, äh. aus einem Eisenbahnzug heraus! Wir aber wollen uns doch an die faire Jagdmethode des Indianers halten. Dieser jagt nämlich erstens nur so viele Tiere, wie er zum Überleben braucht, und zweitens benutzt er keine Feuerwaffen. Also steckt die Gewehre weg! Wir werden uns das beste Tier aussuchen, welches der tapferste von uns erlegen wird. Ja, dann will ich wohl mal."

Damit stieg ich vom Pferd und warf alle meine Waffen von mir. Nur meinen Lasso und mein Messer behielt ich bei mir. Aus den Pferden meiner Gefährten wollte ich mir zwei möglichst gleich große Tiere auswählen, deren ich zur Ausführung meines Planes bedurfte.

Mir war nämlich soeben ein blendender Gedanke gekommen. Einem Kunstreiter gleich, wie man ihn vielfach in gewissen Wild-West-Shows bewundern kann, wollte ich mich mit je einem Fuße auf die Rücken zweier nebeneinanderstehender Pferde stellen. Wenn es mir nun gelänge, auf diese Weise über den Rücken des ausgewählten Büffels zukommen, müßte der Rest ein Kinderspiel sein.

"Laßt die Bestien laufen! Die bändigt kein Mensch, it's clear", sagte Old Scrabble.

"Das wäre!" versetzte ich, "möchte mich von keinem Büffel beschämen lassen, dessen Vater ein Rindviech war. Paßt auf!"

Obwohl dies für die Pferde nicht ohne jede Gefahr abgehen würde, boten mir Old Geierhand und Cold Death überraschend bereitwillig Winnetous und Tante Prolls Pferde an.

Währenddessen führten letztere gerade ein angeregtes Gespräch über die Bewältigung unserer Wasserprobleme.

"Tante Proll müssen Kieselsteine lutschen, altes indianisches Rezept gegen Durst!" sagte Winnetou gerade. Tante Proll entgegnete:

"Sehr intelligent, Winnetou, wirklich. Und woher gedenkst du nun, dieser Kieselsteine habhaft zu - äh - will sagen: und woher du wollen nehmen Kieselsteine?"

"Du einfach müssen graben nach Kieselsteine, Schwarzgesicht!"

"Für Dich immer noch Bleichgesicht. Das ist Teer, Rothaut!"

"Braunhaut, bitte schön."

"Platin-Bronze-Ocker-Haut", warf ich verbessernd ein.

Während Tante Proll und Winnetou sogleich verzweifelt zu graben begannen, ging ich daran, mein kühnes Vorhaben auszuführen.

Rasch bestieg ich die beiden Pferde, und auf ging's in rasendem Galopp. Vor mir die stampfende, stürmende Herde, hinter mir die schutzlosen Gefährten. Diese Situation machte mir die Entscheidung, welches Tier ich mir auswählen solle, leichter. Ursprünglich hatte sich mir die Frage gestellt, ob ich ein junges, schmackhaftes Tier erlegen, oder ob ich meine Klugheit und Kraft mit dem stärksten Tiere der Herde messen solle.

Ob der Gefahr, daß nun die heranbrausenden Büffel meine Freunde zu überrollen drohten, lenkte ich die Pferde augenblicklich auf das Leittier zu, weil dies die letzte Möglichkeit bot, den Lauf der Herde noch abzuwenden.

Mit einem "Hurra!", auf den Lippen brach ich auf den Rücken der Pferde stehend in die vordersten Reihen der Herde ein und jagte auf das Leittier zu. Durch das Meer der braunen Leiber hatte ich mich endlich bis hinter den Bullen vorarbeiten können, als dieser unvermittelt zur Seite ausbrach. Er mußte mich mit seinen bösartigen, listig blitzenden, kleinen, stechenden Augen erspäht haben, allem tosenden Lärmen und aufgewirbeltem Staube zum Trotz. Immer noch trieben wir gleich einer unaufhaltsamen Flut auf die Kameraden zu.

Mit einem verzweifeltem Schrei veranlaßte ich die Pferde, die Wendung in vollem Laufe mitzuvollziehen und mit letzter Kraft auf Höhe des Bullen vorzuschnellen, was mich abgeworfen hätte, hätte ich mich nicht der Fliehkraft erbarmungslos entgegengestemmt. Schon hatten die Pferde den Bullen zwischen sich gebracht, und das war meine einzige Chance. Ich sah den braunen, wild behaarten Rücken des Büffels unter mir, stürzte mich falkengleich hinab, da fielen beide Pferde auch schon vor Erschöpfung zuerst zurück und dann zusammen.

Die Hörner ergreifend und den Kopf zur Seite zwingend, brachte ich das Leittier und damit die Herde dazu, sich abermals in eine neue Richtung zu wenden. Und dies keine Sekunde zu früh. In unmittelbarer Nähe meiner Gefährten stürzte die wilde Jagd der Herde vorbei. Die Gefährten waren fürs erste gerettet, und ich konnte mich daran machen, das Tier zu erlegen.

Ich hätte ihn jetzt ohne weiteres erstechen können, dies allerdings hätte das Tier unweigerlich zum Stürzen gebracht und auch mich wohl das Leben gekostet. Darum ging ich daran, ihn auf eine ähnliche Weise zu bezwingen, wie ich es schon oft mit Mustangs getan hatte.

Ich überlegte noch, wie ich den alten Leitbullen alleine in die Nähe der Gefährten zurücklenken könne, ohne daß die Herde ihm folgte, als er unerwartet zu versuchen begann, mich mit wildesten Bocksprüngen, wie irr umherrasend, ab zuwerfen. Doch zu meiner Freude machte die Herde diese Haken und Wendungen nicht mit und stürmte in die alte Richtung weiter. Offensichtlich hatte der Bulle durch diese entwürdigende Prozedur seine Stellung als Anführer verloren.

Die Wirkung meines Schenkeldruckes erprobend, merkte ich, daß ich dadurch die Richtung der Bocksprünge des Büffels auf meine Gefährten zu lenken konnte. So gelangte ich zurück in ihre Nähe.

Jetzt kam es vor allen Dingen auf den kräftigen Schenkeldruck an. Die Bisonrippe mußte sich unter meinem Schenkelbiegen. Das drückt die Eingeweide zusammen und macht Todesangst. Es war ein böser Kampf, Kraft gegen Kraft. Ich begann bald aus allen Poren zu schwitzen, aber der Büffel schwitzte noch weit mehr. Der Schweiß rann ihm vom Leib, und vom Maul troff der Schaum in großen Flocken. Seine Bewegungen wurden schwächer und mehr unwillkürlich. Sein anfangs wütendes Schnauben ging in ein kurzes Hüsteln über. Dann brach er endlich unter mir zusammen, nicht willentlich, um mich abzuschmeißen, sondern weil er von seiner letzten Kraft verlassen wurde. Da blieb er bewegungslos und mit verdrehten Augen liegen.

Es war vollbracht, er war tot. Ich holte tief Atem. Es war mir, als wären alle Sehnen und Bänder in meinem Körper zerrissen.

"Heavens, was seid Ihr für ein Mensch!" rief Old Shoehand, während er auf mich zugelaufen kam. "Ihr habt ja mehr Kräfte als ein Tier! Könntet Ihr Euer Gesicht sehen, so würdet Ihr erschrecken!"

"Glaube es."

"Eure Augen sind herausgetreten, Eure Lippen geschwollen und Eure Wangen förmlich blau."

Nun traten auch die übrigen Gefährten bis auf Winnetou und Tante Proll herzu.

"The Devil! Das ist bei weitem der größte Büffel, den ich je in den Prairien des Wilden Westens gesehen habe.""

Für wahr", entgegnete ich nicht ohne Stolz. Er maß wohl an die vier Meter und mochte durchaus seine dreißig Zentner auf die Waage bringen.

Winnetou und Tante Proll hatten unterdessen ein derartiges Loch gegraben, daß nur mehr ihre Köpfe zu sehen waren. Während meine übrigen Gefährten sich über den Bison her machten, um ihn zu zerlegen und zuzubereiten, trat ich, teils verwundert, teils, um ihnen meinen Erfolg mitzuteilen, zu ihrem Loch hinzu. Kaum hatte ich den Rand erreicht, als mir unversehens ein Schwall klaren Wassers ins Gesicht spritzte.

"Thunderstorm! Ein Brunnen! Ausgerechnet hier! Das gibt's doch nicht!" rief ich freudig erregt aus.

"Ihr sagt es, es ist eine Schande. Warum ausgerechnet hier? Wenn ich nicht seit zehn Minuten das Wasser ausschöpfen würde, hätte Winnetou noch keinen einzigen Kieselstein gefunden!" sagte Tante Proll. Ich fragte:

"Kieselsteine? Was soll das bedeuten?"

"Nun, Winnetou war auf den genialen Gedanken gekommen"

"Ach so, Winnetou. ja, ja."

Damit drehte ich mich um, den anderen die freudige Nachricht über den Fund nicht vorzuenthalten. Unter fortwährendem Graben der beiden stillten wir anderen unseren Durst und füllten nacheinander unsere Feldflaschen auf. Um überhaupt an die Quelle herankommen zu können, hatte ich Winnetou diplomatisch angeboten, das Grundwasser mit unseren Feldflaschen abzuschöpfen, was ihm das Graben erleichtern müsse.




KARL MAY

GESTAMMELTE WERKE


1 Durch die Wüste

2 Durchs wilde Kurdistan

3 Von Bagdad nach Stambul

4 In den Buchten des Balkan

5 Durch das Land der Skipetaren

6 Der Schutt

7 Winnetou I

8 Winnetou II

9 Winnetou III

10 Strand des Verbergens

11 Am Stillen Ozean

12 Am Rio de la Plata

13 In den Kordilleren

14 Old Shoehand I

15 Old Shoehand II

16 Mädchenjäger

17 Der Madige

18 Im Sudan

19 Kapitän Kai Marl

20 Die Felsenburg

21 Krügers Bein

22 Satan and his Chariot

23 Auf fremdem Faden

24 Bei Nacht

25 Am Diesseits

26 Der Löwe der Blutlache

27 Bei den Würmern von Babylon

28 Im Reiche der silbernen Möwen

29 Das versteinerte Gebiet

30 Und Friese auf Erden

31 Ardistan69 Ritter und Reh bellen

32 Der Mir von Dschingis Chan

33 Winnetous Erbsen

34 "DU"72 Schlacht und Hüte

35 Munter Leiern

36 Der Spatz im Silbersee

37 Der Ödprinz

38 Kalbblut

39 Das Vermächtnis des Inka

40 Der blaurote Methusalem

41 Die Slawenkarawane

42 Der alte Nassauer

43 Aus dunklem Tann

44 Der Waldschwarze

45 Zepter und Hammer und Sichel

46 Die Juweleninsel

47 Professor Vitzliputzli

48 Das Sauberwasser

49 Lichte Höhlendes Nonnengottes

50 In Mokka

51Schloß Rodriganda

52 Die Pyramide

53 Benito Ju war es

54 Trapper Geiernabel

55 Der werbende Kaiser

56 Der Weg nach Waterloo

57 Das Geheimnis des Marabu

58 Der Spion von Ortry

59 Die Herren von Seifenklau

60 Allah will Allah!

61 Der Wisch

62 Im Tal des Todes

63 Zobeljäger und Kognak

64 Das Buschgespenst

65 Der Fremde aus Indien

66 Der Peitschenmüller

67 Der Silberhauer

68 Der Wurzeldepp

70 Der Waldsäufer

71 Old Geierhand

73 Der Habicht

74 Der verlorene Hohn

75 Munter Reihern oder der Grölprinz


HAASENTRETER-VERLAG, REDERBITZE